Prof. Dr. Jens Ebing: Wissenschaft, Training und der Kampf um Wissen im Leistungssport
Podcast Gast in dieser Episode des fritz:cast ist der Sportwissenschaftler Prof. Dr. Jens Ebing . Wir sprechen über Wissenschaft im Training, die Herausforderungen im Leistungssport und den Einfluss von Trends wie Neuroathletik. Wer sich für eine fundierte, kritische und praxisnahe Perspektive interessiert, sollte diese Episode nicht verpassen!
Vom Studium zur Professur – Ein Leben für die Wissenschaft des Körpers
Jens Ebing hat einen beeindruckenden akademischen Weg hinter sich. Seine Wurzeln liegen in der Sportwissenschaft, er promovierte an der renommierten Charité und wurde später Professor an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte umfassten u. a. neuromuskuläre Anpassungen, sensorimotorisches Training und biomechanische Einflussfaktoren auf die Leistungsfähigkeit.
Doch er blieb nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft. Seine Arbeit war und ist immer praxisnah. Er kennt den Trainingsalltag ebenso gut wie den wissenschaftlichen Diskurs und verbindet beide Welten auf eine Art und Weise, die selten geworden ist.
Zwischen Wissenschaft und Realität: Die Herausforderung im Leistungssport
Eine der größten Herausforderungen, die Ebing immer wieder anspricht, ist der Widerspruch zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und der Realität im Hochleistungssport.
„Der menschliche Körper ist ein thermodynamisch offenes, multistabiles System. Wir verstehen vielleicht 1 % davon. Und trotzdem tun wir so, als wüssten wir alles.“
Das Problem: Hochleistungssportler stehen unter einem immensen wirtschaftlichen Druck. Sie müssen abliefern – immer und überall. Das bedeutet, dass neue Methoden, Trends und Trainingsansätze oft unkritisch übernommen werden, solange sie kurzfristige Erfolge versprechen. Langfristige Konsequenzen oder gar wissenschaftlich fundierte Herangehensweisen haben es schwer, sich in der Praxis zu etablieren.
„Im Leistungssport geht es um die letzten 1 %. Und genau diese 1 % zu erreichen, ist enorm schwierig. Das Problem ist, dass wir eine Vielzahl an Variablen haben – Verletzungen, Trainingsalter, individuelle Anpassungsfähigkeit – und trotzdem soll alles in ein einfaches System gepresst werden. Das ist aber nicht realistisch.“
Neuroathletik, Showeffekte und der Placebo-Effekt
Ein großes Thema in den letzten Jahren ist Neuroathletiktraining. Die Idee dahinter: Durch gezielte Reize auf das Nervensystem können Athleten schneller, stabiler und leistungsfähiger werden. Doch Ebing bleibt kritisch:
„Es gibt effektive Methoden, aber das meiste ist Show. Viele Trainer präsentieren ihren ‘Taschenspielertrick’, um eine kurzfristige Veränderung zu demonstrieren – aber wenn man fragt, was da wirklich passiert, dann gibt’s keine fundierte Antwort.“
Er betont dabei, dass viele der präsentierten Methoden in Wirklichkeit nichts anderes sind als grundlegendes neuromuskuläres Training. Die Effekte entstehen oft nicht durch eine magische Technik, sondern weil der Körper neue Reize erfährt und sich daran anpasst.
„Alles ist neuroathletisches Training. Wenn ich barfuß laufe, trainiere ich meine Propriozeption. Wenn ich auf einer instabilen Unterlage trainiere, trainiere ich mein Nervensystem. Das ist keine Magie, das ist Biologie.“
Das Problem der Akademisierung und des Trainerstatus
Ein weiteres Thema, das ihm besonders am Herzen liegt, ist die fehlende Anerkennung von Trainern, die sich außerhalb akademischer Wege weitergebildet haben.
„Wenn du einen akademischen Titel hast, bekommst du sofort mehr Glaubwürdigkeit. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass du auch mehr Ahnung hast.“
Das Problem: Personal Trainer, die tagtäglich mit Klienten arbeiten, sind oft hochqualifiziert – aber ihnen fehlt der akademische Status. Die akademische Ausbildung wiederum hinkt in vielen Bereichen der Praxis hinterher. Das Ergebnis ist ein Kompetenzgerangel, das oft auf Kosten der Trainer geht, die sich ihr Wissen selbst erarbeitet haben.
Das eigentliche Problem: Bewegungsmangel und gesellschaftlicher Wandel
Abseits der Wissenschaft und des Leistungssports sieht Ebing ein viel größeres Problem: den zunehmenden Bewegungsmangel. Die heutige Jugend wächst in einer digitalen Welt auf, in der Bewegung immer weniger eine Rolle spielt.
„Wir haben eine Generation, die motorisch schlechter ausgebildet ist als je zuvor. Und das wird massive gesundheitliche Folgen haben.“
Seine Lösung? Strukturen schaffen, die es jungen Menschen erleichtern, sich zu bewegen – sei es durch Schulsport, durch niedrigschwellige Angebote oder durch eine generelle gesellschaftliche Umstrukturierung.
„Wenn Kinder keinen Zugang zu Sport haben, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn sie als Erwachsene keine Lust darauf haben. Und wenn du einmal 20 Jahre inaktiv warst, dann ist der Weg zurück verdammt schwer.“
Fazit: Wissenschaft trifft Praxis
Prof. Dr. Jens Ebing ist eine der wenigen Stimmen, die Wissenschaft und Praxis gleichermaßen schätzt und kritisiert. Er fordert einen ehrlichen Blick auf Trainingsmethoden, eine bessere Integration von Wissenschaft in den Leistungssport und eine gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Bewegung.
Seine Botschaft ist klar: Es geht nicht darum, den neuesten Hype zu verfolgen oder blind Studien zu zitieren. Es geht darum, Bewegung sinnvoll und nachhaltig zu gestalten – egal ob im Leistungssport oder im Alltag.