🎙️ Physiotherapie und Coaching – Konkurrenz oder Chance? | Podcast mit Alexander Tolksdorf

Die Zukunft der Physiotherapie – Herausforderungen, Chancen und Visionen

Im Fritz:cast Podcast diskutierten Fritz Reincke und Physiotherapeut Alexander Tolksdorf intensiv über die Herausforderungen, strukturellen Probleme und Chancen in der Physiotherapie. Die Episode bot tiefe Einblicke und zeigte Wege auf, wie sich Physiotherapeuten zukünftig positionieren und behaupten können.

Zustand der Physiotherapie in Deutschland

Ein zentraler Kritikpunkt von Fritz war, dass in der Ausbildung grundlegende Konzepte, wie das "Prinzip Schwerkraft", kaum thematisiert werden. Er äußerte Enttäuschung über veraltete Lehrmethoden: „Ich habe in der Ausbildung gesagt, wenn dieses System in zehn Jahren nicht zugrunde gegangen ist, dann ist ein Wunder passiert.“ Alexander ergänzte, die Ausbildung brauche dringend ein umfassendes Update, um den Berufsstand attraktiver zu gestalten und die gesellschaftliche Verantwortung besser zu reflektieren.

Gesellschaftliches Ansehen und Rolle der Physiotherapie

Alexander betonte, dass Physiotherapie trotz ihrer hohen Bedeutung oft hinter anderen Therapieformen zurückbleibe: „Wir sind mittlerweile schlechter in der Krankenkassen-Bezahlung als Logopäden und Ergotherapeuten.“ Fritz ergänzte, dass die gesellschaftliche Wertschätzung steigen müsse, da aktuell oft unmotivierte Menschen in den Beruf kämen, was langfristig der Qualität schade: „Als ich anfing, Physio zu machen, saßen in meiner Klasse nur Trottel, die nicht wussten, was sie machen sollen.“

Herausforderungen im Gesundheitssystem

Fritz beschrieb das Gesundheitssystem bildlich als ein "brennendes Haus": „Wir gucken eigentlich dem Haus dabei zu, wie es anfängt zu brennen.“ Beide kritisierten die Ökonomisierung im Gesundheitssektor, die die Versorgung in den Hintergrund rückt. Alexander sprach zusätzlich von der fehlenden Lobbyarbeit der Physiotherapeuten, wodurch deren Verhandlungsposition geschwächt werde.

Konkurrenz durch Coaching und Selbstzahler-Angebote

Ein kontrovers diskutiertes Thema war der Markt von Coaches und Trainern, die zunehmend traditionelle Bereiche der Physiotherapie übernehmen. Alexander äußerte Bedenken über fehlende Abgrenzung: „Heute hast du in jeder Situation Zugang zu Schmerzpatienten, es gibt keine Abgrenzung mehr.“ Fritz sah dies auch als Chance: „Wenn du einen durchschnittlichen Physio hast, bist du schlecht betreut. Wenn du einen durchschnittlichen Trainer hast, bist du verhältnismäßig schlecht trainiert. Es ist genau das Gleiche.“

Lösungsansätze: Eigenverantwortung und Neuorientierung

Beide Experten waren sich einig, dass Eigenverantwortung entscheidend sei. Fritz schlug vor, dass Physiotherapeuten ihre Angebote stärker an konkreten Patientenbedürfnissen orientieren sollten, um attraktive privat finanzierte Angebote zu schaffen: „Wenn alle Physios sich damit beschäftigen würden, gäbe es die ganzen anderen Trainer nicht mehr.“ Alexander unterstützte dies und empfahl jungen Therapeuten, mehr Energie in ihre persönliche Entwicklung zu investieren.

Karriereperspektiven und Ausbildungsmöglichkeiten

Alexander riet jungen Therapeuten, mit Leidenschaft ihre Fähigkeiten zu vertiefen und vorhandenes Wissen effektiv einzusetzen, statt ständig nach Weiterbildungen zu suchen: „Du musst dieses System Körper verstehen wollen, dann wirst du unentbehrlich.“ Fritz ergänzte, dass praktisches Können, Empathie und Kommunikation langfristig wichtiger seien als Zertifikate.

Visionen fĂĽr die Zukunft

Alexander formulierte eine klare Vision einer wertgeschätzten, angemessen vergüteten Physiotherapie, die eng an Patientenbedürfnissen ausgerichtet ist. Fritz ergänzte, eine Verzahnung von Therapie und präventivem Training werde die Zukunft prägen: „Der wichtigste Job im Bereich Mensch ist, dass Menschen nicht zum Arzt gehen müssen. Sagen wir nicht Prävention, sagen wir Vitalität.“

Fazit

Der Podcast lieferte realistische Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der Physiotherapie. Fritz und Alexander präsentierten Lösungsansätze, um den Berufsstand aufzuwerten und die Versorgungsqualität zu verbessern. Ein Umdenken in Ausbildung, gesellschaftlicher Wahrnehmung und beruflicher Eigenverantwortung ist dabei unabdingbar.

Fritz ReinckeKommentieren